Montag, 26. Mai 2014

Emotionales Gehabe

Ich bin niemand, der übertrieben an materiellen Dingen hängt. Jedenfalls nicht wie meine Freundin Sandra, die alles, wirklich alles, kistenweise zu Hause stapelt, weil man es ja noch einmal in naher Zukunft brauchen könnte. Selbst mein Müll, den ich manchmal einen Tag vor der Tür stehen lasse, bevor ich ihn endgültig entsorge, ist nicht sicher vor ihr. „Ich habe mich mal an deinem Müllbeutel bedient, das hättest du ja sowieso weg geworfen.“ „Was in aller Welt hast du aus meinem Müllbeutel geholt? Mir war nicht bewusst, dass ich so wertvolle Dinge achtlos weg werfe, für die es sich lohnen würde, in einem dreckigen Müllbeutel zu kramen.“ „Ich hatte einen schönen Knopf entdeckt.“ Ach so, na dann.

Vor einer Woche bestellte mich meine Mutter zu Hause ein, weil sie eine neue Küche erwartete. Vorher musste die Alte natürlich noch abgebaut werden und ich sollte die Handwerker überwachen. Ich fand mich also pünktlich mit einem Stapel Modezeitschriften, zwei Schalen Erdbeeren und meinem Laptop bei meinen Eltern ein und machte es mir am Küchentisch gemütlich. Kurze Zeit später klingelte es an der Haustür, vor der die beiden rustikalen Küchenbauer Bernd und Friedrich standen. „Mit Ihnen habe ich jetzt nicht gerechnet!“ „Ich aber mit Ihnen!“ Was für eine nette Begrüßung, ich bat sie trotzdem herein. „Die Sicherung muss raus!“ Friedrich war kein Freund vieler Worte und sah mich mit großen Augen an. „Sprechen Sie mit mir?“ „Ja, schon!“ Okay, bin ich Jesus oder eine Frau? „Woher soll ich wissen, wo der Stromkasten ist?“ Langsam erhob ich mich von meinem Stuhl, versuchte „männerlogisch“ zu denken und ging in den Keller. „Gut, ich habe die Sicherung für die Küche raus genommen - aber keine Gewähr!“ schrie ich nach oben.

Als Bernd und Friedrich sich an der Küche zu schaffen machten, wurde ich urplötzlich traurig. Mit einer Erdbeere in der Hand und dem Laptop auf den Beinen sah ich zu unserer alten Küche hinüber, die gerade völlig emotionslos bearbeitet und auseinander genommen wurde. Ich merkte zum ersten Mal, wie ich ernsthaft an einem materiellen Gegenstand zu hängen schien. Aber hing ich wirklich an der Küche oder an den Emotionen, die ich mit der Küche verbinde? In diesem Moment war das wirklich schwer zu sagen. Ich habe einen erheblich großen Teil meines Lebens in diesen vier Wänden verbracht.

Gelacht, geweint, gekocht, gegessen, gewachsen. Körperlich und emotional.

Hier saß ich oft mit meiner Mutter nach der Arbeit, habe ihr von meinem Tag erzählt und sie hat mir dabei eine Stulle geschmiert. Eine leckere Stulle. Während ich meinen Gedanken nach hänge, macht sich eine kleine Träne auf den Weg und kullert über meine Wange. „Wir sind fertig, alles abgebaut!“ schreit mich plötzlich Bernd von der Seite an. Friedrich steht daneben, mit dem Besen in der Hand. „Ja, danke.“ Ich stehe etwas neben mir, was anscheinend auch den Beiden nicht verborgen bleibt. „Wissen Sie“, sage ich, „In der Küche bin ich aufgewachsen, ist mit vielen Erinnerungen und Emotionen verbunden!“ „In der Küche sind Sie aufgewachsen und in der neuen Küche werden Sie alt.“ Der dicke Bernd grinst, wobei ich sofort feststelle, dass ihm genau zwei Zähne fehlen. Ich bezahle die Beiden und sitze noch eine halbe Stunde auf dem kalten Boden in dem leeren Raum und hänge meinen Gedanken nach. Bernd hatte es zwar sehr direkt ausgedrückt, aber er hatte Recht. Was er eigentlich meinte war, dass das Leben weiter geht, man kann die Zeit nicht zurück drehen. Weder die alte Küche, noch meine Tränen bringen meine glückliche Kindheit wieder zurück. Aber die Erinnerung daran wird mir niemand mehr nehmen können.



Sonntag, 18. Mai 2014

Ode an die Bewegung

Ich sitze zu Hause auf der Couch und kann mir in diesem gemütlichen Moment vor dem Flimmerkasten niemals auch nur ansatzweise vorstellen, einen einzigen Muskel meines Körpers zu bewegen. Mein innerer Schweinhund lacht mich schallend aus, während ich mir denke, wie sehr ich dringend aufs Laufband oder auf den Crosstrainer müsste. Dass sich diese großartig leckere Currywurst von vor drei Stunden nicht direkt auf meine Hüften setzt. Und der die Kinderriegel. Und die Cola. Kohlenhydratübersättigt schlurfe ich durch die Wohnung, während meine Motivation mit einem Cocktail in der Hand an mir vorbei rennt und mich freundlich grüßt.

Nach zwei Stunden im Zuckerkoma und in der Waagrechten überzeugt mich mein schlechtes Gewissen aufzustehen und noch einmal eindringlich darüber nachzudenken, ob ich mich nicht doch bewegen sollte. „Was steht im Haushalt an?“ „Meine Steuererklärung müsste wirklich dringend gemacht werden!“ Wenn ich jetzt nicht s-o-f-o-r-t eine Ausrede finde, um nicht zum Sport gehen zu müssen.

Dann muss ich zum Sport gehen.

Während ich lustlos meine Sporttasche packe und die mittlerweile total betrunkene Motivation vom Boden aufhebe, überlege ich immernoch aus welchem Grund ich mich nicht bewegen sollte. Heute fällt mir wirklich keiner ein. Verdammt.

Im Bewegungstempel á la Fitnessstudio angekommen schlurfe ich mit meinem Handtuch zum Laufband, wobei mein Schlurfen nicht mehr so schlimm ist wie zu Hause, es sind ja Leute da. Ich drücke „Start“ und schlurfe zaghaft los. Die ersten fünf Minuten wünsche ich mich zurück auf meine Couch und verfluche mich und mein schlechtes Gewissen. Ich hätte meine Motivation weiter Cocktails trinken lassen sollen.

Nach den ersten zehn Minuten steigere ich das Tempo und die Neigung meines Laufbands und beginne leicht zu schwitzen. Mein schlurfen löst sich in ein langsames, aber bestimmtes Joggen auf. Automatisch richte ich meinen Rücken gerade auf und nehme die Schultern nach unten. Versehentlich entweicht mir sogar ein verschmitztes Grinsen, während mir Pharrell Williams in die Ohren brüllt, dass ich doch eigentlich „happy, happy, happy“ bin. Ja aus welchem Grund sollte ich nicht happy sein? Mir fällt keiner ein.

Nach zwanzig Minuten merke ich, wie meine besten Freunde Serotonin und Dopamin vorbei schauen. Ich steigere mein Tempo und bewege mich mittlerweile auf dem Laufband wie eine Gazelle, die einen Gazellenmann mächtig beeindrucken möchte, während ich über das gesamte Gesicht selig grinse. In meinem Trance-ähnlichen Zustand frage ich mich, warum in aller Welt ich noch vor einer Stunde alle nur erdenklichen Gründe diesem vollendet gottähnlichen Zustand vorschieben wollte. Ich bin wütend auf mich und meinen inneren Schweinehund, dass ich dieses kleine Glück heute um einen Wimpernschlag verpasst hätte, während ich Glückshormonbetrunken vom Laufband zum Rudergerät taumle.

Ausgepowert, aber happy, happy, happy verlasse ich den Bewegungstempel und tänzle leichtfüßig  mit Sero und Dopa nach Hause. Eins ist sicher: Ich werde niemals ein Workout bereuen!

Sonntag, 11. Mai 2014

"Setz dich und nimm dir nen Keks."

Gestern habe ich ein Konfliktseminar belegt. Die Referentin, Frau Professor Dr. Dr. Diplom Psychologin begrüßte die Runde  mit einer betont sanften Stimme. Meine Bemühungen nicht einzuschlafen, waren sehr groß, denn ich hatte verschlafen und dementsprechend floss noch kein Koffein durch meine Adern.

Ein Konflikt ist die Unvereinbarkeit von Zielen und Bedürfnissen. Kalte Konflikte, heiße Konflikte, soziale Konflikte, Konflikte innerhalb der eigenen Person. Ich kämpfte wie gesagt gerade gegen den Konflikt innerhalb der eigenen Person, indem ich mich fragte, warum in aller Welt ich zu einem Konfliktseminar mit Diplom Psychologin tatsächlich ohne einen Tropfen Kaffee angerückt war.

Abgesehen von der „Kein Kaffee“-Situation habe ich ein Problem mit solchen Seminaren - da beginnt schon meiner erster Konflikt - soll ich hingehen, mich aufwühlen lassen oder lasse ich es besser bleiben, weil ich bisher ganz gut mit mir selbst klar gekommen bin. Als ich zur Tür hereinkam erspähte ich als Erstes einen Stuhlkreis. Wie in einer Selbsthilfegruppe für konfliktgeplagte, gestresste Workaholics stellten wir uns alle vor und jeder musste einen aktuellen Konflikt darlegen. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass vor allem eine Person aus unserer Gruppe einen Konflikt mit sich, ihrem Arbeitgeber und der ganzen Welt austrug. Nicht mein Problem, aber in diesem Augenblick leider schon. Anstatt abzubrechen und mit dem Seminar fortzufahren hörte sich die Referentin - ganz Psychologin - die Erläuterungen der kalten, heißen und chronifizierten Konflikte der Dame mit den Spaghettihaaren und der großen Hornbrille an. Um nicht einzuschlafen fingen meine Gedanken an bunt zu werden. Begebe ich mich gerne in Konfliktsituationen, trage ich Konflikte aus oder mache ich zu oft Kompromisse und gebe mich zufrieden, obwohl ich nicht zufrieden bin? Hier und da könnte ich schon etwas hartnäckiger sein und meinen Standpunkt klar und deutlich vertreten. Aber ansonsten plädiere ich für einen gesunden Mittelweg zwischen Kompromiss und dem Durchsetzen der eigenen Meinung.

Weiter erfahre ich durch Frau Professor Dr. Dr., dass neben dem Kompromiss noch eine weitere Option existiert, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, den "Konsens". Durch den Konsens entsteht eine win-win Situation, indem kein Kompromiss geschlossen wird, sondern eine alternativer Lösungsweg eingeschlagen wird, mit der die beteiligten Parteien nicht im Ansatz, sondern vollständig zufrieden sind. Und zwar Alle.

Wir haben zum Beispiel eine Orange. Beide Parteien wollen diese Orange gerne haben. Ein Kompromiss würde geschlossen, indem man die Orange teilt. Jede Partei hätte dann eine Hälfte, wäre aber nur halb zufrieden. Indem man intensiv miteinander kommuniziert stellt sich jedoch nach einiger Zeit heraus, dass eine Partei den Saft der Orange möchte und die andere den Schalenabrieb braucht. Ab diesem Zeitpunkt entsteht ein Konsens und beide Parteien haben ihr Ziel zu einhundert Prozent erreicht. Wir sind mittlerweile im Alltag so auf Kompromiss getrimmt, dass wir oft gar nicht auf die Idee kommen nach einem Konsens zu suchen, höchstwahrscheinlich auch aufgrund der fehlenden Zeit. Wenn Einem im Arbeitsleben also ein Quäntchen mehr Zeit zur Verfügung stünde, wäre der Benefit für den Arbeitgeber unterm Strich größer, weil die Lösungen sehr viel kreativer ausfallen würden.

"Wir machen eine Pause." Ich war so in Gedanken versunken, dass ich das therapeutische Beratungsgespräch nicht mehr weiter verfolgt hatte. Nach der Pause hatte ich die Hoffnung, dass die unglückliche Dame durch Frau Professor Dr. Dr. therapiert worden war.

Ich ging freundlich, aber bestimmt auf sie zu. "Setz dich, nimm dir nen Keks oder es gibt einen Konflikt." Ich lächelte sie an. Wir kamen also nach intensiver, non-verbaler Kommunikation zu einem Konsens. Die Dame hatte einen leckeren Keks, ich ab diesem Zeitpunkt noch etwas von dem nicht ganz günstigen Seminar und wir konnten einen Konflikt verhindern.